Es war der Begriff „Partei“, der durch das Dritte Reich in Misskredit geraten war. Nachdem alle anderen Parteien verboten waren, gab es nur die eine Partei, man sprach nicht von der NSDAP, sondern von der Partei. Sie hat mit dem furchtbaren Krieg Unglück über unser Land gebracht. Viele Leute waren traumatisiert von dem Begriff Partei und wollten nichts mehr davon wissen.
Vor diesem Hintergrund bot sich allgemein, so auch in Bürgstadt, die Lösung an, dass Bürger, die eine Parteizugehörigkeit ablehnten, zur Mitarbeit an der kommunalen Selbstverwaltung aber bereit waren, eine Fraktionsgemeinschaft zu bilden. So haben sich in Bürgstadt die Bürger Albin Neuberger, Reinhold Keller, Oswald Umscheid und Robert Hofmann bereit erklärt mit der CSU eine Fraktionsgemeinschaft zu bilden. Das war im Jahr 1960.
Im Vorfeld der nächstfälligen Kommunalwahl 1966 kam es zu Irritationen mehrgestaltiger Art. Querelen mit dem Bürgermeister, sowie das angebliche Bestreben der CSU-Landesleitung nur Mitglieder als Kandidaten aufzustellen, führten zur Gründung unserer Wählergemeinschaft.
Einer Einladung folgend, unterzeichnet von Altbürgermeister Josef Ullrich, Josef Banschbach und Günter Dietz, trafen sich am 5. Januar 1966 130 Bürgerinnen und Bürger im Ankersaal und gründeten – so ist es in einem Protokoll zu lesen – eine freie, unabhängige, christliche Wählergemeinschaft, der man den Namen „Unabhängige Wählergemeinschaft Bürgstadt“, in Kurzfassung UWG, gab.
Aus einer Vorschlagsliste mit 25 aufgeführten Personen wurden mehrheitlich 16 als Kandidaten zur Kommunalwahl am 13. März 1966 gewählt.
Auch ein Bürgermeisterkandidat wurde gefunden, es war Gustav Kirchgessner, der langjährige Feuerwehrkommandant unserer Gemeinde.
Zur ersten Wahl traten an: Albin Neuberger, Reinhold Keller, Oswald Umscheid, Walter Elbert, Otto Leibfried, Karl-Philipp Balles, Maria Nötges, Robert Hofmann, Günter Dietz, Heinrich Bopp, Hilmar Hösch, Otto Köhler, Paul Busch, Nikolaus Meisenzahl, Egon Stratmann und Willy Döhle. Die drei Erstgenannten zogen in den Gemeinderat ein.
Neubau der Grundschule, Turnhallenbau, Wasserversorgung und E-Werk waren zentrale Aufgaben in ihrer Amtszeit.
Wir freuen uns, heute Frau Elfriede Keller, Frau Erni Elbert und Frau Hilde Leibfried bei uns zu haben. Ihr Hiersein werten wir als Zeichen der Verbundenheit – seien Sie herzlich willkommen.
1972 trat die UWG wieder mit einer vollen Liste mit 16 Kandidaten zur Wahl an. Mit nur sieben Stimmen wurde der dritte Platz verpasst und mit Albin Neuberger und Reinhold Keller war die UWG mit zwei Personen im Rat vertreten. Der plötzliche Tod von Reinhold Keller im Jahr 1976 war ein harter Schlag für unsere Gemeinschaft. Nicht nur wir verloren einen engagierten Mitbürger, dessen Antriebskraft sich positiv auf die Arbeit des Rates ausgewirkt hat. Unser Gedenken an ihn soll uns Verpflichtung sein.
Da der Nachrücker für Reinhold Keller, Oswald Umscheid, wegen eingetretener beruflicher Überlastung sein Mandat nicht antreten konnte, zog Annegret Kantner in den Gemeinderat ein – als erstes weibliches Mitglied des bis dahin ausschließlich von Männern besetzten Gremiums.
Eine Frau im Gemeinderat – für heutige Verhältnisse keine Besonderheit, schließlich werden wir von einer Bundeskanzlerin regiert, für damalige Verhältnisse ein Novum. Annegret Kantner hatte den Mut gehabt in den Ring zu steigen und hat sich dort als Bürgstadter Urgestein 23 Jahre behauptet und manchen Strauß ausgefochten und ausgehalten. Alle Hochachtung!
Als Beispiele der zähen Verfolgung ihrer Ziele seien die stufenlose Überquerung des Erfsteges oder die Orientierungsbeleuchtung des Zugangsweges zur Kirche im Friedhof genannt.
Von 1978 bis 1984 war die UWG mit drei Sitzen: mit Annegret Kantner, Paul Betzwieser und Franz Umscheid, im Rat vertreten. Nach dem Rücktritt des Bürgermeisters 1980 beteiligte sich die UWG mit Nikolaus Meisenzahl als Kandidaten an der Bürgermeisterwahl. Es war ein Zeichen wohlverstandener Demokratie, dass sich damals drei Bewerber zur Wahl gestellt hatten, was in dieser Zeit von bedeutender Außenwirkung für Bürgstadt war.
Man hat damals der UWG vorgehalten, vor Wahlen jeweils wie ein Phönix aus der Asche zu steigen um danach wieder in der Versenkung zu verschwinden. Um diesem Vorwurf den Wind aus den Segeln zu nehmen wurden die spontanen und unregelmäßigen Treffen in regelmäßige, offizielle Veranstaltungen umgeformt, nicht zuletzt um die Arbeit in der UWG der Öffentlichkeit transparent zu machen.
Nach der Kommunalwahl 1984, bei der die UWG vier Sitze erringen konnte – sie wurden eingenommen von Annegret Kantner, Nikolaus Meisenzahl, Bernd Neuberger und Franz Umscheid – nahm die UWG Vereinsstatus an. In einer Versammlung am 24.05.1984 wurde ein Vorstand gewählt, der sich zusammensetzte aus: Franz Umscheid (1. Vorsitzender), Nikolaus Meisenzahl (2. Vorsitzender), Werner Altenhövel (Schatzmeister), Gerd Bauer (Schriftführer) und Marianne Hench, Georg Grätz und Heinz Lambertz als Beisitzer. Ich darf darauf hinweisen, dass Werner Altenhövel seit diesem Tag ohne Unterbrechung das Amt des Schatzmeisters innehat.
1990 konnten bei der Gemeinderatswahl die vier Sitze gehalten werden. An die Stelle von Nikolaus Meisenzahl trat Dagmar Lambertz.
Im April 1992 wurde in diesem Raum das 25-jährige Bestehen der UWG gefeiert.
Sehr früh ist die UWG Bürgstadt dem 1980 gegründeten Landesverband der freien und unabhängigen Wählergemeinschaften in Bayern beigetreten, kurze Zeit später auch dem Kreisverband, der sich daraus entwickelt hat.
Der Landesverband hatte folgende Ziele:
- den Erfahrungsaustausch der einzelnen Wählergemeinschaften zu fördern
- den freien Wählern ein einheitliches Erscheinungsbild zu verschaffen
- durch das Bildungswerk Mitglieder von Wählergemeinschaften zu fördern.
Es lief gut an. Wir haben Fortbildungsseminare besucht und guten Kontakt zum Landesverband gehalten, bis sich Mitgliedsgemeinschaften, vorwiegend aus dem südbayerischen Raum, mit dem Wunsch nach Teilnahme an Landtagswahlen durchgesetzt haben. Mit der Wählergruppe wurden die Freien Wähler zur Partei gemacht, was unseren Zielsetzungen grundsätzlich entgegenstand und zum Austritt aus dem Landesverband im Jahr 2005 geführt hat, während wir dem Kreisverband weiterhin verbunden sind.
1991 wurde die UWG Bürgstadt in das Vereinsregister beim Amtsgericht Obernburg eingetragen. Neuer Vorsitzender wurde Bernd Neuberger, Schatzmeister blieb Werner Altenhövel, Gaby Meisenzahl wurde zur Schriftführerin gewählt und hatte dieses Amt bis 2002 inne.
Bernd Neuberger blieb 1. Vorsitzender bis 1995, dann folgten Franz Umscheid bis 1999, Erwin Banschbach bis 2002 und von da ab führt Holger Reinfurt die Wählergemeinschaft. Derzeit sind Stefan Bachmann und Reinhold Siegel seine Stellvertreter.
Unabhängig von den Seminaren des Bildungswerkes wurden örtliche Informationsveranstaltungen durchgeführt, so z.B. zu den Themen Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Stromversorgung, Tourismus, Handel und Gewerbe, um nur einige zu nennen. Extern nehmen Gemeinderätinnen und -räte an den Fortbildungskursen des Freistaates Bayern in Fürstenfeldbruck teil.
1996 gelang es fünf Mandate zu erzielen. Als Neuer kam Stefan Umscheid zu den vier Wiedergewählten. Zu unser aller großem Bedauern musste 1999 Annegret Kantner aus gesundheitlichen Gründen das Amt der Gemeinderätin aufgeben. Mit Erika Rose füllt eine engagierte Nachfolgerin die Lücke.
Wie war und ist das nun mit der Effizienz der UWG im Gemeinderat Bürgstadt?
Es entspricht dem Wesen der Demokratie und man weiß, dass die gewählte Mehrheit das Sagen hat. So auch im Gemeinderat in Bürgstadt, wo die CSU-Fraktion nicht nur die einfache, sondern auch die absolute Mehrheit hatte und hat. Man weiß aber auch, dass aufmerksame Minderheiten sorgfältiges Arbeiten der Mehrheit erwirken. Es hat mir einmal jemand nach einer Wahl gesagt: „Ihr könnt ja daheim bleiben, ihr habt eh nichts zu melden und seid nur Statisten da oben“. Und gerade das waren und sind wir nicht. Kritisches Hinterfragen zur Entscheidungsfindung und konstruktive Mitarbeit nach gefällten Entscheidungen sahen und sehen wir als unsere Aufgabe in der Minderheit, mit dem Ziel gemeinsam optimale Ergebnisse für die weitere Entwicklung von Bürgstadt, seinen Bürgerinnen und Bürgern, zu erreichen.
Die Ergebnisse, die hier in Bürgstadt gemeinsam erzielt wurden, können sich sehen lassen: Baulanderschließung für Wohn-, Gewerbe- und Industriegebiete, Schwimmbad, Sportzentrum und die Rathaussanierung als sichtbare Beispiele, sowie die Wasserversorgung und die komplette Erneuerung des Abwassersystems, um nur einige der vielen weiteren Objekte zu nennen.
Mit einem Projekt hat sich die UWG ausgesprochen schwer getan: mit der Umgehungsstraße. Es würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen sich in Einzelheiten zu verlieren, die ohnedies noch allen in Erinnerung sind. Die Achtung der Mehrheitsbeschlüsse einerseits, die gegensätzlichen, verständlichen, hartnäckigen Meinungen und Forderungen andererseits, führten zu heftigen Diskussionen und wurden zu einer Zerreißprobe der UWG. Wir haben sie bestanden!
2002 schenkten die Wählerinnen und Wähler vier UWG-Kandidaten das Vertrauen: Dagmar Lambertz, Erika Rose, Petra Bissert und Stefan Umscheid. Der Gemeinderat wählte Dagmar Lambertz zur 3. Bürgermeisterin – ein Erfolg für Dagmar und die UWG.
Das Thema „Bürgstadt soll schöner werden“ steht auf der Tagesordnung der nächsten Monate und Jahre. Dazu wünschen wir allen, die daran arbeiten, viel Erfolg!
Es sei mir zu diesem Punkt eine persönliche Anmerkung erlaubt. Wir freuen uns, dass Altbürgermeister Hermann-Josef Eck heute bei uns ist. Wir haben 1978 – er war zum 2. Bürgermeister gewählt worden und ich war als Neuling im Rat – das Projekt „Bauen im Ortskern“ angegangen, das in der gleichlautenden Ortssatzung seinen Niederschlag fand. Damit sind über einen Zeitraum von über 25 Jahren städtebauliche Fehlleistungen und störende Einflüsse auf das Ortsbild von Bürgstadt vermieden worden und solide Voraussetzungen für die weitere Ortskernsanierung und -gestaltung geschaffen worden.
Zu einer Rückschau gehört auch ein Blick in die Zukunft. Diesen möchte ich in zwei Sätzen zusammenfassen:
1. Es möge immer Bürgerinnen und Bürger geben, die für den Gemeinderat kandidieren. Egal, ob der Sprung in den Rat gelingt oder nicht: mit dem Namen auf der Liste beweist der Kandidat, dass er bereit ist, Verantwortung für seine Mitbürger zu übernehmen.
2. MITREDEN, MITMACHEN, MITGESTALTEN soll weiterhin unsere Devise sein, als freie, unabhängige Wähler zum Wohl und Gedeihen von Bürgstadt.“
Franz Umscheid